Die Lehrermangel - Teil 2: Die Sache

 

 Teil 1


Greifswald
(SPA): Die Regionalschule, für die sich Lehrer I.S. nun entschieden hat, signalisiert nicht nur bei ihm sondern auch beim Schulamt dringenden Bedarf für einen Mathelehrer zum 1. September des kommenden Schuljahres. Er verweist auf seine siebenmonatige Kündigungsfrist, die nur durch Genehmigung eines Aufhebungsantrages auf einen Monat gedrosselt werden kann. Entsprechend ihrer Erfahrungswerte bittet ihn die Direktorin der Schule deshalb, nach circa drei Wochen den Stand der Sachbearbeitung im Schulamt zu hinterfragen.

Nach drei vergeblichen Versuchen, Sachbearbeiterin L. diese Informationen zu entlocken, bekommt die Sache I.S. Anfang August die Eingruppierung 11 mit Erfahrungsstufe 1 genannt. Erfahrungsstufe 1 ist ein wenig höher als Erfahrungsstufe 0 - nur gibt es diese nicht, sodass Erfahrungsstufe 1 de facto Null besagt. Die Sache I.S. teilt Sachbearbeiterin L. spontan im selben Telefonat mit, dass man ihm ein solches Angebot nicht zu unterbreiten brauche, da es als Zahlencode getarnt ja nur besage, dass er im letzten Vierteljahrhundert allein mit Nasendrehen und Daumenpopeln beschäftigt gewesen sei. Schulamtsmitarbeiterin L., der u.a. Personaleignungsprüfung für dringenden Bedarf anheim geworden ist, wendet ein, dass dieses Angebot gemäß den im Hause festgeschriebenen Handlungsleitfäden noch drei weitere Instanzen durchlaufen müsse. Ehe es der Sache I.S. offiziell, schriftlich und mit amtlichem Stempel unterbreitet werde. Er solle Geduld mit seinem Widerspruch haben. Alles zu seiner Zeit. Und jede der soeben am Telefon aufgezählten Instanzen habe zehn Tage davon.

I.S., der Lehrer, hätte nicht glauben mögen, dass dieser Dienstweg bei einem abgelehnten Angebot und gleichzeitig dringlichen Bedarf der Schule so dickfellig durchgezogen wird. Aber er, sie, es sind Sachen. Und als Sache erhält er am 30. August von Frau V., ihres Zeichens aus der Abteilung Koordinierung Lehrereinstellung, folgende Mail:

 

 

Kann man witzig finden. Muss man aber nicht. Obwohl, die Fristen sind schon putzig - da ist einiges auf dem Weg durch die Instanzen stillpostartig verloren gegangen. Die Sache I.S. antwortet: 

 


Nun wird es ein bissel wild (wir müssen "bissel" schreiben, denn wir befinden uns erst am Anfang der Sachbearbeitung). Bereits einen Tag nach seinem Widerspruch findet I.S. Post von Sachbearbeiterin L. im elektronischen Briefkasten. Nun, fast zwei Monate nach Eingang der Bewerbung, bei dringendem Bedarf, benötigt das Schulamt weitere Unterlagen von der Sache, um deren Einstufung und Eignung prüfen und festsetzen zu können. So heißt es da. Konkret wären das: Nachweise über Beschäftigungszeiten, Tätigkeitsfelder, Arbeitsverträge und -zeugnis, Stellenbeschreibungen. Dinge also, die den Verwaltungsgöttern, die sich in Organigrammen aus der Hölle organisieren, zum größten Teil längst vorliegen bzw. bei parallel verwaltenden Behörden längst eingeholt hätten sein (können).

Außer dem Arbeitszeugnis gelingt es der Sache I.S., mangels zu durchlaufender Instanzen die angeforderten Schriftstücke binnen fünf Tagen einzureichen. Als Bonus, und das ist wichtig, schiebt er noch eine Lohnbescheinigung aus 8/2022 hinzu. Wegen der Prämissen mit dem Vermerk: hier können Sie weitere Eckdaten entnehmen.

Die Besorgung des vorläufigen Arbeitszeugnisses allerdings birgt den schweren Nachteil, dass er in der Firma seinen Wechselwunsch kommunizieren muss. Andererseits wirft die Erstellung eines solchen ein charakteristisches Licht auf den gegenwärtigen Zustand in der Arbeit mit Menschen in einem Unternehmen, das mit Menschen arbeitet. Nach intensiven Beratungen in unserer 12qm-Redaktionsstube haben wir entschieden, diesen Vorgang in knackigen Stichworten zu schildern. Unterstützt von einer Karikatur, die natürlich nicht jede Meinung in so einem Unternehmen abbildet.

- I.S. verbringt eine Woche damit, neben seiner Unterrichtstätigkeit einen Vorgesetzten zu suchen, der seine Arbeit in einem Arbeitszeugnis verschriftlichend einschätzen kann

- er findet nicht
- am Freitag dieser Woche nutzt er die Mittagspause, um sich ein Arbeitszeugnis selbst zu erstellen und sendet es einem Bereichsleiter

- der Bereichsleiter nimmt nun mit Hilfe einer KI Einschätzungen ("1", "2", "3" ...) zu den einzelnen Punkten des Arbeitszeugnisses vor
- die KI-gestützte Software spuckt entsprechend dieser Einschätzungen Satzbausteine aus
- diese Satzbausteine werden der Sekretärin der Geschäftsleitung zum Zwecke der Verfassung eines Fließtextes zugesandt
- der Fließtext landet per elektronischer Post return beim Bereichsleiter

- der Bereichsleiter überfliegt den Fließtext, guckt, ob er den Mitarbeiter in diesem wiederfindet und muschelt noch ein bisschen rum

- kleine Textnovellen werden durch die Sekretärin nachgebessert und die zweite Fassung dem Bereichsleiter überstellt

- Druck und Unterschrift durch den Bereichsleiter

- fast zwei Wochen warten, bis sich die Geschäftsführung bemüßigt fühlt, das Schriftstück mit der zweiten Unterschrift und einem Stempel zu versehen.

Am 22. September übersendet die Sache I.S. somit das letzte, vorerst angeforderte Schriftstück, in dem von gewinnbringender Weise in Randbereichen, exzellenten Lösungen, außergewöhnlicher Belastbarkeit, Präzision, der Rückstellung persönlicher Interessen parliert wird, dem Schulamt zu. Der Sachprozess wird nun rasant, ferrarig, nimmt Fahrt auf ... mehr dazu in

Teil 3

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Jens (Dienstag, 18 Juli 2023 10:59)

    Ich lese schon bei Teil 2 aufgrund von Erfahrungen gleicher Art und gleichen Vorgehens bildungsminiterialen Verwaltung M/V im eigenen näheren Umfeld heraus, dass diese Vorgehensweisen ganz offensichtlich nicht Einzelfall sondern geplante Strategien sein müssen.

  • #2

    Brycke (Dienstag, 18 Juli 2023 19:56)

    Das ist anzunehmen. Gerade Seiten-, Quer- und Neueinsteiger durchlaufen ein System der steten Schikanei. Ohne Rechtsbeistand, ohne Hinzuziehen der Justitiare sind diese aufreibenden Streitigkeiten selten zu beheben. Ein sehr langwieriger Prozess und, gemessen an den Horrormeldungen zum Lehrermangel, eine Schande.