Spagat auf dem Rad

 

 

 

 

 

Greifswald (SPA): Es ist 16:42 Uhr in Greifswald. Ronny und ich stehen in einem Pulk von einem knappen Dutzend Radfahrern, der sich an der Ecke Volksstadion versammelt hat, um gemeinsam bei Ampel Grün den Karl-Liebknecht-Ring zu queren. Vor uns liegen 850 dieselfreie Meter Fahrrad- und Fußgängerstraße. 850 schnurgerade Meter unserer mit Wahlplakaten zugehängten Home-Work-Transitstrecke. 850 Meter Rasch Hour.

 

Grün! Direkt vor uns tritt der Kleine Muck kräftig in die Pedalen. Der Kleine Muck der Neuzeit ist circa Sechstklässler, bewegt ein 24er Mountainbike, ist gewickelt in eine quietschgelbe Warnweste mit reflektierenden Querstreifen und trägt einen Helm auf dem Kopf. Er belegt das obligatorisch angebotene Fahrrad-Sicherheitstraining auf dem Privatgymnasium und hat dort gelernt, dass er sehr weit rechts fahren muss. In der nächsten Woche wird er lernen, dass er bei einem Richtungswechsel den körpereigenen Richtungswechselanzeiger (in diesem Fall: den linken Arm) betätigen sollte, um gefahrenfrei auf den Radweg am Liebknecht-Ring abzubiegen. Ronny greift ein erstes Mal abrupt die Vorderbremsen.

 

Ich fühle mich hier nicht mehr sicher. (CDU)

 

Wir sind gemächlich unterwegs und zügeln unsere Rösser gewohnheitsgemäß vor der Einfahrt Beitz-Platz - dem Hot Spot zwischen Unibibliothek auf der einen, Mensa und Klinikum auf der anderen Seite. Auf Punkt Zehn nach Zwölf löst sich eine kleine Person aus dem Räderwirrwarr vor der Bibliothek und geht mit ihrem tänzelnden Braunen auf direkten Kollisionskurs zu unseren Vorderrädern. Ronny und ich bremsen präventiv straff. Und voll. Wir lassen die Dame kreuzen, die frontal vor uns aus ihrem Augenwinkel wohl einen Schatten bemerkt. Sie hebt den Kopf und lächelt uns unter einer mit zwei Fingern flüchtig zurückgezogenen Kapuze an. Hübsches Gesicht, eine südostasiatische Austauschstudentin vielleicht, die völlig ahnungslos in diesem Moment die deutsche Straßenverkehrsordnung ho-chi-minhisiert.

 

Hoch die internationale Solidarität. (MLPD)

 

Wenige Meter weiter endet der um diese Tageszeit äußerst stark frequentierte Platz. Wir sind fast durch, als uns zwei von links kreuzende Spaziergänger erneut zu einer spontanen Bremsung zwingen. Sie: Kapuze, Phone am linken Ohr. Er: Kapuze, linke Hand an ihrem Gesäß, Phone am rechten Ohr. Ronny steht und winkt durch. Einfach nur so, denn es wird nicht wahrgenommen. Ich winke ab.

 

Digital First. Bedenken Second. (FDP)

 

Wir beschleunigen leicht. Und gehen nur einige Sekunden später erneut in die Eisen. Aus der Einfahrt des Instituts für Plasmaforschung schießt eine junge Frau in forsch(end)er Geschwindigkeit. Aerodynamisch einwandfrei flachgelegt, Kopf tief geduckt zwischen den Enden eines Hörnerlenkers. Formschöner, weiter, ungebremster 90-Grad-Bogen mitten ruff auf die Trasse. Schenkel wie Dschamolidin Abduschaparow. Augen wie Stevie Wonder. Ronny feixt und sagt: „Demnächst fahren wir hier mit Helm.“ Ich schaue an den nächsten Pfahl.

 

Mehr Personal in Pflege und Gesundheit. (LINKE)

 

 

Legende

 

1) Der Kleine Muck

2) Ho-Chi-Ninja
3) Wir können nicht anders

4) Dschamolidin Wonder

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Kommentare: 2
  • #1

    Lieselotte (Donnerstag, 09 Mai 2019 20:55)

    Hallo Herr Brycke, ich hab' gehört du warst (oder bist noch) krank. Ich wünsche Dir jedenfalls gute Besserung und dass Du ganz bald wieder total fit bist! Manface wünscht Dir auch alles Gute!
    Liebe Grüße nach Greifswald :o)

  • #2

    Lieselotte (Donnerstag, 09 Mai 2019 20:56)

    Und Vorsicht beim Fahrrad fahren!