Lütkes Muss und Grimbarts Versammlungen

 

Ein Gastbeitrag von Anna Naomi Maus

 

 


Greifswald (SPA): Ein schüchternes Klopfen an Grimbarts Tür. Nach seinem kurzen „Ja!“ stapfen Bockert und Petz in den Bau. Sie grüßen kurz und setzen sich an den runden Tisch, in dessen Mitte ein Dutzend angespitzter Bleistifte, Radiergummis, Lineale und Formelblätter auf den Gebrauch durch zwei Könige der Nutzholzbearbeitung warten. Zwei Könige, die einst entkräftet durch das mit allerlei unnützem Wissen gestickte Sieb von BILDung und UNTER-RICHTEN gefallen waren und nun im geschützten Fabelmärchenwald multilateral auf ein Leben in der freien Wildbahn vorbereitet werden.

 

 

„Aber mir hat das nie jemand gezeigt!“, protestiert Bockert. Grimbart sagt: „Aber du schwimmst doch jetzt schon seit drei Jahren durch diesen von Untiefen, Stromschnellen und Mäandern befreiten Fluss, baust jeden Tag in der von dir benötigten Zeit Dämme und meinst trotzdem, eine Buche würde für den stabilen Dammbau taugen? Mmmh …“. „Ich nehme Eiche. Oder besser noch Teak. Mag mich aber nicht nass machen.“, spritzt Petz absolut korrekt dazwischen. Und Bockert ergänzt: „Teak hat mir auch noch keiner gezeigt.“

 

Reinecke empfängt Grimbart zum turnusmäßigen Mitarbeitergespräch. „Ich weiß, dass die Dokumentation nicht ideal und sehr zeitraubend ist. Aber Lütke will das so. Das ist kein Phantom. Und wenn Lütke will, heißt das für uns: wir müssen!“ Ich muss, denkt Grimbart, zeigt auf Reineckes letzten Wurf, der gerade ein Mittagsschläfchen hält und fragt: „Würdest du das für deinen Nachwuchs auch wollen müssen?“ Schweigen und mit Nachdruck bei der Verabschiedung: „Wir müssen, Grimbart.“
 
Ein schüchternes Klopfen an Grimbarts Tür. Nach seinem langen „Jaaa!“ schleichen Markart, Metke und Lampe in den Bau. Sie grüßen kurz und setzen sich an den runden Tisch, in dessen Mitte ein Dutzend angespitzter Bleistifte, Radiergummis, Lineale und Formelblätter auf den Gebrauch durch drei Prinzen der Kundenbetreuung warten. Drei Prinzen, die einst entkräftet durch das mit allerlei unnützem Wissen gestickte Sieb von BILDung und UNTER-RICHTEN gefallen waren und nun im geschützten  Fabelmärchenwald multilateral auf ein Leben in der freien Wildbahn vorbereitet werden.

 

„In der Schule dürfen wir den Taschenrechner benutzen!“, zetert Metke. Grimbart deeskaliert: „Bei der Arbeit mit Längen- oder Gewichtseinheiten braucht ihr doch nur das Komma entsprechend der Nullen in der Umrechnungszahl nach links oder rechts schieben.“ „Das hat mir noch nie jemand gezeigt!“, protestiert Lampe. „Dann lasst uns doch einfach mal rausgehen.“, schlägt Grimbart vor. Er schnappt sich Zollstock und Bandmaß und schiebt drei Prinzen der Kundenbetreuung vor sich her.

 

„Wir schätzen und messen.“, leitet Grimbart ein, zeigt auf ein Einbahnstraßenschild direkt vor dem Grimbartbau und fragt: „Na, welche Fläche?“. „300 Quadratmeter!“, ruft Markart aus. Grimbarts Fell geht steil. Er hüpft einen Meter nach vorn, einen nach rechts, einen nach hinten und einen weiteren nach links. Zieht den Sprungweg mit der Pfote im Sand nach, richtet sich hoch, streicht sich das Fell glatt und betont: „DAS ist ein Quadratmeter!“. Markart ruft: „Ich bleibe bei 300!“. Lampe sagt: „Das kann nicht stimmen.“

Und Metke: „Das hat mir noch nie jemand gezeigt.“    

Grimbart reicht Markart den Zollstock und sagt: „Miss doch einfach mal! Breite und Höhe.“ Markart versucht vergeblich den Zollstock aufzuklappen und gibt ihn nach einigen Sekunden zurück. „Ich bin nicht so der Feinmotoriker und DAS hat mir auch noch keiner gezeigt.“ Das wird schwierig, denkt Grimbart, während er eigenpfötig gemessen, berechnet und erklärt hat. Dann zeigt er in Richtung der Wegbiegung und fragt: „Wie weit ist es bis zu dem Punkt, wo der Weg nach rechts abbiegt?“ „400 Meter!“, ruft Markart aus. „Warte mal!“, sagt Grimbart und dann zu Metke: „Los. Im Sprint zum Baum an der Ecke!“. Metke rennt, schlägt an und er stoppt sagenhafte 4,16 Sekunden. Lampe rollt das Bandmaß aus, läuft gemächlich hinterher und meldet 9,85 Meter. „Weltrekord!“, ruft Grimbart und wirft jubelnd die Vorderpfoten in die Höh. Markart löst seine Kralle aus dem Ende des Maßbandes und verkündet optimistisch: „Das kann ich schneller!“. „Aber nicht auf 400 Meter.“  

Grimbart versammelt die Prinzen der Kundenbetreuung um sich, zeigt auf dem Zollstock einen Zentimeter und fragt: „Wie viele Zentimeter sind 9,85 Meter?“ „Muss ich durch oder mal Tausend?“, fragt Metke. Geduldig gibt er zurück: „Bitte nur das Komma schieben. Aber vorher überlegen: wie viele Zentimeter passen denn in einen Meter?“ „Wenn ich mir das so anschaue …“, wandert Lampes Blick von Zollstock zu Bandmaß zu Zollstock zu Bandmaß zu Zollstock, „… dann sind das einhundert Zentimeter.“ Grimbart spricht ein fettes Lob aus und wiederholt die vakante 9,85-Meter-Frage. Stille. Und nochmals Stille.

„Dann anders …“, sagt er, „… tausend Meter sind ein Kilometer. Das heißt: drei Nullen und drei Stellen mit dem Komma schieben. Nur in welche Richtung?“. Und an Metke gewandt: „Woher kommst du?“ „Aus Gadebusch.“ „Wie viele Kilometer ist das entfernt?“ „Zweihundertvierzig.“ „Und nun: in Metern!“ „Zweimetervierzig!“, lässt Metke sehr schnell verlauten. Grimbarts Waigelaugenbrauen ziehen sich hoch. „Dann schließe mal die Augen und geh drei Schritte!“ Metke kneift die Augen zusammen, läuft drei Schritte, jeder achtzig Zentimeter lang, verharrt. „Und jetzt die Augen wieder auf! Schau dich um.“ Metke schaut.

"Und? Bist du jetzt in Gadebusch?“.
     

 

Alle Grimbärte, der für die Psyche, jener für Praxis und dieser für Theorie, der für das Wohnen, einer für die Integration und der für die letzte Instanz, Lütkes Protokoll, versammeln sich. Nach der Könige Verlauf und der Prinzen Stunden haben sie nun auch, jeder in seinem Bau, für all die Lampes, Metkes, Bockerts und auch den Hylax, die Murner sowie die Abnoras und Tybbkes ein Abschnittsprofil angelegt. Gemäß den Zeichen der Zeit, gemäß dem kommunikativen Fortschritt, digital gefertigt anhand vier Dutzend Items und mehr als hundert Leitfragen. Dort, wo sonst nicht und kaum bewertet wird, steht eine einvernehmliche Einigung über eine Bewertung an. Lütkes Muss. Stempel in der Ära der Inklusion. Selektion für die, die an der Selektion gescheitert sind. Ein Siegel, das für keinen verloren geht. Eine Stunde je Metke. Sechzig Minuten pro Bockert. Dreitausendsechshundert Sekunden für jeden Hylax.

 

Ohne Taschenrechner. Und ohne Komma.    

 

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Kommentare: 30
  • #1

    Lieselotte (Mittwoch, 04 Juli 2018 23:28)

    Selber schuld, sag' ich da nur! Wenn ich das schon lese: Bleistifte, Radiergummis und Lineale! Digitalisieren müßt ihr das, ihr Grimbärte! Analog geht heute gar nichts mehr, das weiß doch jeder!

  • #2

    Ricarda Bolithos (Mittwoch, 04 Juli 2018 23:37)

    Hat dir keine/r gezeigt wie man "jeder" gendert?
    Außerdem habe ich den Eindruck, daß du das Problem - wie immer - nicht eigentlich verstanden hast: das Komma kann man sehr wohl analog mit Bleistift und Radiergummi versetzen!

  • #3

    Lieselotte (Mittwoch, 04 Juli 2018 23:47)

    Ist aber auch immer schwer mit dem Komma und den Nullen: nach rechts oder nach links verschieben, wer weiß das schon. Wenn's digitalisiert ist, bekommt man es gleich richtig angezeigt, also liegt das Problem doch in der mangelnden Digitalisierung!

  • #4

    Lieselotte (Mittwoch, 04 Juli 2018 23:52)

    Und das Problem mit der Feinmotorik ist dann auch gelöst: man braucht die Finger nur noch zum Tippen!

  • #5

    Lieselotte (Donnerstag, 05 Juli 2018 00:12)

    Die dreitausendsechshundert Sekunden für jeden Hylax, das hat der Grimbart doch auch mit dem Taschenrechner ausgerechnet - so eine große Zahl.

    Und die Bewertung ist doch auch ganz einfach: "Gemäß den Zeichen der Zeit, gemäß dem kommunikativen Fortschritt, digital gefertigt anhand vier Dutzend Items und mehr als hundert Leitfragen." Es muß nur ein digitales Protokoll sein. Und eine geeignete Software, die rechnet die Bewertung aus - auf beliebig viele Stellen hinter dem Komma. Nur darf man das Komma nicht im nachhinein von Hand verschieben, dann wird alles falsch.

  • #6

    Gotthilf Schatzmann (Donnerstag, 05 Juli 2018 00:23)

    Hallo Lieselotte, muß immer alles ganz genau gemessen, bewertet und objektiviert werden? Was mach ich denn, wenn ich den einen mag und den anderen nicht? Ist das gerecht? Wie romantisch findest du es, auf einer Skala von eins bis zehn mit Manface im Mondschein spazieren zu gehen?

  • #7

    Lieselotte (Donnerstag, 05 Juli 2018 00:32)

    So eine unverschämte Unterstellung, das mit Manface! Immer seid ihr alle gegen mich. Dabei weiß ich genau, daß ich Recht hab'! Die Sachen müssen ihre Ordnung haben, sonst geht's nicht.

  • #8

    Ricarda Bolithos (Donnerstag, 05 Juli 2018 00:41)

    Ja, Lieselotte, das stimmt mal ausnahmsweise.

    Mein lieber Herr Schatzmann, wenn einer drei Schritte gemacht hat und denkt er ist zwanzig Kilometer gelaufen, dann kann das nicht mit gut bewertet werden. Das ist objektiv nämlich falsch - zumindest nach meiner subjektiven Einschätzung!

  • #9

    Gotthilf Schatzmann (Donnerstag, 05 Juli 2018 00:54)

    Mag sein, dass es falsch ist, aber ist das wichtig? Will der Metke denn Landvermesser werden? Warum muß der denn die ganzen Sachen lernen, die ihm noch niemand gezeigt hat und die er gar nicht sehen will? Braucht der das? Weil der Lütke es braucht, für's Protokoll? Macht ihn das glücklich und zufrieden, den Metke? Macht das die Grimbärte und Lütkes glücklich?

  • #10

    Lieselotte (Donnerstag, 05 Juli 2018 01:13)

    Das sind jetzt aber ziemlich viele, ziemlich blöde Fragen. Glück und Zufriedenheit kann's - wie gesagt - nur geben, wenn alles seine Ordnung hat! Und seine Ordnung hat's nur, wenn die Jungs ordentlich bewertet im Protokoll stehen!
    Gott hilf Schatzmann kann ich da nur sagen!

  • #11

    Sheldon Gently (Dienstag, 10 Juli 2018 14:10)

    Also Lieselotte, nach meiner Erfahrung denkt man manchmal, man weiß es ganz genau und dann merkt man: Uuuups, da hab ich mich geirrt.
    Seine Ordnung kann es ja vielleicht auch haben, ohne dass die Jungs ordentlich bewertet im Protokoll stehen!

  • #12

    Lieselotte (Dienstag, 10 Juli 2018 14:10)

    Mit deiner flachen Erde hat's jedenfalls keine Ordnung. Das sag' ich dir so!

  • #13

    Sheldon Gently (Dienstag, 10 Juli 2018 14:11)

    Zuerst habe ich auch gedacht, klar ist sie eine Kugel, so bin ich aufgewachsen. Und dann habe ich einen Film gesehen, dass sie flach ist und gedacht: die spinnen doch. Und dann hab ich mir noch einen Film angesehen und noch einen und dann bin ich ins Grübeln gekommen und habe gemerkt ich wurde von klein auf angelogen.

  • #14

    Gotthilf Schatzmann (Dienstag, 10 Juli 2018 14:13)

    Aber da bist du dann leicht übers Ziel hinausgeschossen. Nicht alles ist falsch, nur weil es dem Mainstream entspricht. Daß du von klein auf veräppelt wurdest, kann schon sein, aber nur weil es den Osterhasen und die Mondlandung nicht gibt, muß die Erde nicht flach sein.

  • #15

    Sheldon Gently (Dienstag, 10 Juli 2018 14:14)

    Blablabla - man muß alles hinterfragen, nicht nur den Osterhasen!

  • #16

    Gotthilf Schatzmann (Dienstag, 10 Juli 2018 14:15)

    Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht. Wenn man merkt, daß man angelogen wird, ärgert man sich und geht in den Widerstand. Aber gleich gegen alles?

  • #17

    Lieselotte (Dienstag, 10 Juli 2018 14:16)

    Das ist jetzt Hausfrauenpsychologie vom Feinsten, oder?

  • #18

    Ricarda Bolithos (Dienstag, 10 Juli 2018 14:17)

    "Hausfrauenpsychologie" ist komplett anti-emanzipatorisch, das Wort sollte man dir sowas von um die Ohren hauen!

  • #19

    Lieselotte (Dienstag, 10 Juli 2018 14:18)

    Hallo Ricarda, "Küchenpsychologie" geht das?

  • #20

    Gotthilf Schatzmann (Dienstag, 10 Juli 2018 14:19)

    Die Frage ist doch, sind die Maßstäbe, die wir anlegen und ins Protokoll schreiben sinnvoll? Müssen die Bedeutungen die wir den Dingen in dieser Welt geben für alle gleichermaßen richtig sein?

  • #21

    Ricarda Bolithos (Dienstag, 10 Juli 2018 14:19)

    Boah, das ist aber philosophisch jetzt! Bin tief beeindruckt #o/

  • #22

    Gotthilf Schatzmann (Dienstag, 10 Juli 2018 14:21)

    Das Problem ist doch auch, daß man Überzeugungen gar nicht einfach ändern kann, auch wenn es gute Gründe gibt.

  • #23

    Lieselotte (Dienstag, 10 Juli 2018 14:22)

    Kann ich wohl. Mach' ich oft. Ich hab' zum Beispiel immer geglaubt das Fußpflege- und Nagelstudio in Daberkow hätte die schönsten French Nails und was sag' ich euch, da kommt meine Freundin vorgestern bei mir vorbei und zeigt mir ihre neuen Gelnägel, die sie selber gemacht hat und da war ich aber voll weg! Hätte ich nie für möglich gehalten!

  • #24

    Tukan Kirbati (Dienstag, 10 Juli 2018 14:23)

    Überzeugungen können doch auch unterschiedlich sein, was ist daran falsch? Gar nichts! Hab' ich schon wie oft gesagt. Toleranz und Akzeptanz. Auch mal andere Meinungen für richtig halten!

  • #25

    Sheldon Gently (Dienstag, 10 Juli 2018 14:25)

    Also entweder die Erde ist eine Scheibe oder nicht, aber für den einen rund und für den anderen flach, wie soll das gehen?

  • #26

    Eberhard Conze (Dienstag, 10 Juli 2018 14:26)

    Geht schon! Der Satz vom Widerspruch ist nicht so universal, wie wir oft denken.

  • #27

    Lieselotte (Dienstag, 10 Juli 2018 14:28)

    Jetzt wird's mir echt zu blöd hier mit euren Satttieren.

  • #28

    Ricarda Bolithos (Dienstag, 10 Juli 2018 14:28)

    Vielleicht gehst du jetzt erstmal ins Nagelstudio oder zur Fußpflege bevor du den Manface im Mondschein triffst und läßt uns einfach in Ruhe!

  • #29

    Gotthilf Schatzmann (Dienstag, 10 Juli 2018 14:29)

    Ich will doch nur sagen, der Mensch ist nicht auf der Welt um geprüft, gemessen und protokolliert zu werden.

  • #30

    Lieselotte (Dienstag, 10 Juli 2018 14:31)

    @Gotthilf Schatzmann
    Das ist deine Meinung!

    @Ricarda Bolithos
    Du bist eine Zicke! So! Das ist meine Meinung! Und die stimmt auch!
    Könnt ihr ins Protokoll schreiben!