Der Beitrag zwischenmenschlicher Gesprächspsychologie zur Erfolgsoptimierung beim Bowlingsport

 

Greifswald (SPA): Zweimal im Jahr trifft sich unsere Männerrunde in der Bahnhofstraße. Um sich neben dem gemeinsamen Bier die letzten Quartale Arbeitsleben aus der Aura zu bowlen. Manchmal, so wie heute, ist auch eine Frau dabei. Eine muss ja gewinnen. Die Aufteilung der Anwesenden auf die beiden gebuchten Bahnen gestaltet sich very deutsch. Nach dem Leistungsprinzip, das bei den letzten derartigen Veranstaltungen ermittelt worden ist. So starte ich auf Bahn Zwei. Peter auch.

 

Wir haben soeben mit dem letzten Durchgang begonnen. Peters Score liegt bei 12, meiner einen darüber. Nicht immer ist der Trend dein Friend – das läuft, so eine Hochrechnung, auf ein Ergebnis unter 100 hinaus. Die magische Marke aller Amateurbowler, die wir beide heute wenigstens schon einmal, wenn auch knapp, geknackt haben. Vor uns zwei frisch Gezapfte, parlieren wir quer über einen Stehtisch zu den aktuellen Erlebnissen aus der realen Arbeitswelt.

 

Er ist in einem florierenden Dienstleistungsunternehmen der Stadt angestellt und hat kürzlich, mit Mitte 50, einen neuerlichen Versuch unternommen, intern andere Aufgaben und damit auch mehr Verantwortung zu übernehmen. Er erzählt, dass er kein Problem damit habe, abgelehnt worden zu sein. Falls dies mit der Begründung einer besseren Eignung anderer Kandidaten erfolgt wäre, alles gut. Ihm aber auf einem Gebiet, in dem er seit elf Jahren arbeitet, komplett und allein die fachliche Kompetenz abzusprechen, nerve ihn gewaltig, zeige ihm, dass der Inhalt seiner Tätigkeit nicht gesehen wird und ließ ihn in seinen Träumen nächtelang durch wildeste Klärungsgespräche wandeln.

 

„Meine Kollegen ziehen mich schon damit hoch, dass ich das falsche Geschlecht hätte.“ Ich weiß, dass in seiner Firma die Frauenquote in Führungspositionen auf einem linearen Graphen gegen das Maximum läuft und taste mit den Augen seinen Oberkörper nach einer Gynäkomastie ab. Wie bei so vielen Mittfünfzigern hat sich im analysierten Bereich das klägliche Rudiment eines Waschbrettbauches versteckt. Null Chance! Mein Bierglas stößt an das seine. „Die einzigen Vitamin B, die uns geblieben sind.“

 

Peter geht an die Bahn und erhöht auf 19. Nach ihm bin ich an der Reihe und ziehe gleich. „Das wird noch spannend zwischen uns beiden.“ Ich empfehle ihm die Lektüre von Robert Merles „Die geschützten Männer“ und schildere ihm, wie mich in meiner Pubertät jene Sequenz des Romans gefangen hat, in der Präsidentin Bedfort den Wissenschaftler Ralph Martinelli an ihren Swimmingpool bestellt hat. Sofort werde ich tiefenpsychologisch:  „Weißt du, Peter, du musst das loslassen. Kanalisieren. Bündeln, ehe es dich auffrisst. Raus mit der Unzufriedenheit, bevor sie zu Wut wird.“ „Aber ich bin schon wütend!“, antwortet Peter. „Na gut, …“, sage ich, „… lass die Wut raus, bevor sie zu Unzufriedenheit wird.“

 

Dann tritt Peter an die Bahn und beginnt zu striken.

 

Die blaue Kugel mit der Aufschrift „12“ gleitet ohne das für uns beide typische Aufditschgeräusch butterweich aus seiner Hand in die Bahn, rollt mit euphorischem Geheul ohne Schlingern in Richtung der Pins und effetisiert sich im letzten Moment in einem optimalen Bogen in deren Zentrum. Dann knallt es. Dann klingelt es. Dann blinken zehn grüne Punkte auf dem Display. Peter kniet mit Siegerfaust in der Anlaufspur. „Na endlich!“, bricht es aus ihm heraus.

 

Dermaßen unter Druck gesetzt, würfle ich erstmal eine Ratte. Dann eine Sechs. Optimal beim Mensch, ärgere dich nicht, aber hier sind wir beim Bowlen. Zurückgekehrt an den Tisch, klopfe ich Peter auf die Schulter und sage: „Jetzt muss ich mich ganz schön strecken.“ Peter kargt ein wenig mit den Worten: „Warten wir noch eine Runde ab.“   

 

Die kommt. Und Peter strikt erneut. Wie aus einem Guss. Nur die Faust lässt er weg.

 

Ich räume mit meinen zwei Würfen wenigstens ab. Peter wirkt nachdenklich. „Was ist los?“, frag ich. „Zwei Strikes hintereinander. Das ist wie Ostern und Maria Himmelfahrt auf einen Tag.“ „Ich hab den Pins Namen geben. Seitdem läuft das.“ Ich pruste los: „Phantastisch. So schnell geht das.“ Dann nennt er mir die Aufstellung. Wohlklingende Namen von Eins bis Zehn. Schreitet zur sechsten Runde. Neun Pins fallen. Linksaußen bleibt einer stehen. Bevor ich Dörte denken kann, ruft Peter: „Dörte! Die knall ich weg!“.

 

Normalerweise beläuft sich die Peter-Wahrscheinlichkeit, einen einsamen Pin wegzuknallen, zudem noch am äußersten Rand, im einstelligen Bereich. Aber heute ist alles anders. Dörte fällt. Von der 12er-Kugel mittig und nicht gerade sanft getroffen, schwingt sie sich in die Höhe, dreht drei oder vier Pirouetten und fällt bäuchlings darnieder. Peter sieht aus, als hätte er nur das erwartet. Im Vorbeigehen zischt er: „Hast du gesehen? Für den Bahnrekord ist es bisschen spät. Aber meinen persönlichen schaffe ich noch.“

 

Nach dem finalen Versuch zeigt die Tafel 157 Punkte für ihn an. Damit hat er seinen eine Dekade alten Rekord pulverisiert. Ich hatte derweil peu á peu meine Zielstellung nach unten korrigiert. Letzter Stand: die Hälfte von Peter. Mit 82 erreiche ich das letzte der möglichen Erfolgserlebnisse. Peter bestellt zwei Kurze, prostet mir zu, grinst und klopft sich mit der Faust an den Rest seines Waschbrettbauches.   

 

„Das nächste Mal: Bahn Eins.“

 

 

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Kommentare: 22
  • #1

    XY und Z (Montag, 26 März 2018 19:25)

    Herrlich! So spielt das Leben.

  • #2

    Lieselotte (Donnerstag, 29 März 2018 22:59)

    Warum ist da ein Baby auf dem Foto, das noch gar nicht lesen kann, anstatt ein Foto der Spieler? Der Peter scheint mir ein cooler Typ zu sein. Was macht der denn sonst so?

  • #3

    Brycke (Donnerstag, 29 März 2018 23:34)

    Liebe Lieselotte,
    wir verwenden meist Symbolfotos und auch Peter war mal klein. Peter liest sonst Bücher und macht total einen auf Coolness.
    Ein frohes Osterfest für dich

  • #4

    Sheldon Gently (Freitag, 30 März 2018 09:15)

    Viele wissen ja nicht mal in welche Himmelsrichtung die Bahn angelegt ist, geschweige denn berechnen sie die Coreoliskraft auf ihre Kugel. Trotzdem treffen einige sehr zielgenau.
    Ein weiterer Beweis für jeden denkenden Menschen, dass die Erde keine Kugel ist, die sich dreht und es die Coreoliskraft gar nicht gibt!

  • #5

    Lieselotte (Freitag, 30 März 2018 09:54)

    Lieber Herr Brycke,
    Du schreibst, dass der Peter in einem florierenden Dienstleistungsunternehmen arbeitet, also verkauft er Blumen. Find' ich eigentlich sympathisch. Aber wieso liest er da Bücher und wieso empfiehlst Du ihm „Die geschützten Männer“? Das ist ein furchtbares Buch. Meine Freundin hat mir davon erzählt. Da sind die Männer gar nicht geschützt. Da sterben die alle und es geht ihnen dreckig.
    Fröhliche Ostern auch Dir und Deinem coolen Freund der bestimmt viele Blumen verkauft jetzt.

  • #6

    Lieselotte (Freitag, 30 März 2018 10:13)

    Kannst Du nicht mal ein Symbolfoto von dem Peter posten?

  • #7

    Ricarda Bolithos (Freitag, 30 März 2018 10:50)

    @ Brycke
    Da glaubst Du jetzt tatsächlich, dass der Spruch mit dem Rauslassen der Wut für das X auf der Anzeige verantwortlich war? Und die Dörte, die er wegknallt! Eine Erfolgsstory! Das ist also der Beitrag zwischenmenschlicher Gesprächspsychologie zur Erfolgsoptimierung beim Bowlingsport in Eurer Männerrunde?

  • #8

    Brycke (Samstag, 31 März 2018 00:19)

    Lieber Sheldon,
    die Corioliskraft kannst du jeden Tag in deiner Badewanne beobachten (ich hoffe, du badest). Du bemerkst sie noch intensiver, mit anderen Sinnen, wenn du dich mit dem nackten Po so auf den Abfluss setzt, dass noch Wasser abfließen kann. Um dir die Zeit zu vertreiben, kannst du mit dem verbliebenen Badeschaum noch ein wenig Plattentektonik spielen (mach ich auch immer). Dann wirst auch du merken, dass die Erde eine runde ist.

    Liebe Lieselotte,
    Peter hat heute drei oder vier Rosen verkauft. Und zum Feierabend ein Bier getrunken. Mit Blume drauf. Das Symbolfoto siehst du im Bericht. Da war er aber noch symbolisch jung.

    Liebe Ricarda,
    nicht nur ich, auch Peter und acht weitere Zeugen glauben daran. Die sensible, psychologische Gesprächsführung hat natürlich etwas mehr Zeit in Anspruch genommen - aber zwecks einer tiefenpsychologischen Leserorientierung hat uns das Internet empfohlen, maximal zehn Minuten für Lesen und Erfassen unserer seriösen Berichte zuzulassen. Deswegen sind einige Passagen so gekürzt, dass sie gleichzeitig diesen strengen Vorgaben als auch den Lesegewohnheiten unserer Gäste genügen, ohne dass sie Abstriche in der Stringenz der Stories in Kauf nehmen müssen.

  • #9

    Sheldon Gently (Sonntag, 01 April 2018 15:38)

    Lieber Herr Brycke,
    die Corioliskraft in der Badewanne zu suchen ist völlig daneben. Dass das Wasser auf der Südhalbkugel andersherum in den Abfluss gurgelt als in Greifswald, ist eine sich hartnäckig erhaltende Lüge. Es lässt sich vielmehr beobachten, dass es im Abfluss je nach Strömungsbeeinflussung bei Beginn der Wirbelbildung - die wie bei allen labilen Systemzuständen sehr gering sein kann (siehe "Schmetterlingseffekt") - einmal linksherum und ein andermal rechtsherum dreht.
    Ich kann nur anraten, nicht immer mit dem nackten Po auf den Abfluss zu sitzen, sondern statt dessen den Abfluss aufmerksam zu beobachten!
    Das mit der Süd- und der Nordhalbkugel ist schon deshalb ein Fake, weil es gar keine Süd- oder Nordhalbkugel gibt.

  • #10

    Ricarda Bolithos (Sonntag, 01 April 2018 15:50)

    Ihr habt sehr wohl Abstriche in der Stringenz der Story in Kauf genommen und es steht mir nicht an, die Aufmerksamkeitsspanne der anderen Brycke-Foristen zu beurteilen, aber was mich betrifft, so hat mich das eher unterfordert! Ich bin nach wie vor der Meinung, dass das Rauslassen der Wut und das Wegknallen der Dörte als Beitrag zwischenmenschlicher Gesprächspsychologie nicht überzeugt!

  • #11

    Lieselotte (Sonntag, 01 April 2018 15:54)

    Hallo Ricarda, es heißt Brycke-Floristen, nicht Brycke-Foristen!
    Peter verkauft Blumen. An Ostern! Wie romantisch! Leider gibt's nur ganz alte Symbolbilder von ihm :o(

  • #12

    Lieselotte (Sonntag, 01 April 2018 15:56)

    Rosen, er verkauft Rosen! Ist das nicht schön? <3

  • #13

    Sheldon Gently (Sonntag, 01 April 2018 16:13)

    Noch ein Wort zu dem verbliebenen Badeschaum mit dem du gerne ein wenig Plattentektonik spielst. Wie willst du da merken, dass die Erde rund ist? Ist die Wasseroberfläche in der Badewanne vielleicht gekrümmt? Eber nicht. Sie ist flach, wie der gesamte Rest!
    Fakten beobachten, nicht blind Ideologien folgen!

  • #14

    Wilhelm Bürstig (Sonntag, 01 April 2018 18:45)

    Mein lieber Sheldon,
    zahlreiche Greifswalder Wissenschaftler haben zweifelsfrei bewiesen, dass die Erde nicht flach ist. Das sollte dir zu denken geben!

  • #15

    Sheldon Gently (Sonntag, 01 April 2018 18:56)

    Das sich Berufen auf anerkannte Autoritäten als Beweis hat in der mittelalterlichen Scholastik Anerkennung gefunden. Gott bzw. die Auslegung der Bibel durch Autoritäten war die Quelle für jede Form der Erkenntnis. Wollen wir dahin zurück?
    Im Übrigen haben die Scholastiker gewusst, dass die Erde flach ist!
    Das sollte dir zu denken geben!

  • #16

    Sheldon Gently (Sonntag, 01 April 2018 19:00)

    @ Wilhelm Bürstig
    Und ich hab's schon wie oft gesagt: ich bin nicht euer lieber Sheldon!

  • #17

    Lieselotte (Sonntag, 01 April 2018 19:04)

    Hallo Wilhelm,
    Du kennst Dich doch aus hier in Greifswald. Weißt Du zufällig, in welchem Blumenladen der Peter arbeitet?

  • #18

    Brycke (Sonntag, 01 April 2018 19:29)

    Lieber Sheldon,
    da hast du aber gerade noch die (nord/süd)Kugel gekriegt. Das mit nacktem Po dient ja der haptischen Verinnerlichung, die bei geöffneten Augen trotz teilweise verschlossenem Abfluss auch eine visuelle ermöglicht. Den Kugeleffekt beim plattentektonischen Spielen erreichst du durch Abtauchen und die Induzierung kreisrunder Strudel mit verschiedenen Körperteilen. Erfordert ein wenig Übung, ist aber möglich. Die Scholastiker hießen vor der 1912er Rechtschreibreform "Scholllastiker" (Scholle und Last) - vielleicht erklärt das den Irrglauben, auch die hätten ausnahmslos an eine flache Erde geglaubt. Dem sollte heute keiner mehr nachhängen. Im Übrigen veröffentlichte selbst die Flat Earth Society kürzlich erst einen stolzen Tweet mit dem Wortlaut: "The Flat Earth Society has members all around the globe."

    Liebe Ricarda,
    Dörtes Wegknallen war schlicht und einfach Ergebnis der psychologischen Gesprächsführung. Du wirst verstehen, dass auch wir einer Schweigepflicht unterliegen, was der Stringenz der Story, so wohl dein Empfinden, auch abträglich sein kann. Dass dies in diesem Fall zu einer Unterforderung geführt hat, bitten wir zu entschuldigen.

    Liebe Lieselotte,
    Peter arbeitet im Blumenaußendienst. Beim Brycke-Stöbern wirst du auch aktuellere Symbolbilder von und mit ihm finden. Zum Beispiel hier: https://brycke.jimdo.com/2016/06/15/der-mann-der-in-island-blieb/

  • #19

    Lieselotte (Sonntag, 01 April 2018 21:21)

    Schöne Bilder - aber der Peter ist das nicht. Der heißt doch Holnar Andreson, oder?
    Das ist echt verwirrend jetzt!

  • #20

    Wilhelm Bürstig (Sonntag, 01 April 2018 21:27)

    So, mein lieber Sheldon, jetzt hast Du aber Dein Fett weg :-D

  • #21

    Brycke (Montag, 02 April 2018 10:07)

    Liebe Lieselotte,
    deswegen heißt das "Symbolbild". Sonst wär es einfach nur "Bild". Wir verwenden übrigens auch "Symbolnamen". Ich hoffe, das verwirrt dich jetzt nicht.

  • #22

    Sheldon Gently (Montag, 02 April 2018 10:56)

    Wisst ihr, was "euer lieber Sheldon" euch sagt...